Sati und Parvati
Sati und Parvati
Die Schöpfung war noch jung, Shiva war in tiefste Meditation versunken und kümmerte sich nicht um die Welt. Brahma sah die Zeit gekommen, dass die Göttin auf Erden inkarniere und bat Kama, einen Weg zu finden, Shiva aus seiner Meditation zu holen.
‚Erschaffe eine schöne Frau, dann kann ich tätig werden.‘
Brahma tat was Kama wünschte, doch Shiva blieb unberührt.
Brahma wusste nicht mehr weiter und befragte Vishnu.
Vishnu erklärte Brahma, wie er vorzugehen habe: ‚Du selbst musst zur Göttin beten und ihr darlegen, was du von ihr wünschst. Dann bitte deinen Sohn Daksha, er möge ebenfalls zur Göttin beten, damit sie ihm als Tochter geboren werde.‘
Brahma suchte Daksha auf. Er und seine Frau Prasuti beteten tausend Jahre bis die Göttin erschien und ihnen eine Gunst gewährte.
Daksha bat: ‚Mutter des Universums, wir bitten dich, inkarniere auf Erden als meine Tochter.‘
Daksha und Prasuti wurde Sati geboren. Sie interessierte sich nicht für die Welt, sie las nur Geschichten über Shiva, meditierte auf ihn und betete zu ihm, er möge ihr Mann werden.
Die Götter suchten Shiva auf und Brahma ergriff das Wort: ‚Ich und Vishnu, wir haben Frauen, wir bitten dich, ebenfalls zu heiraten.
Shiva lachte: ‚Zu was brauche ich eine Frau? Ich befinde mich in ständiger Meditation. Wenn ihr eine Frau für mich findet, die sich ebenfalls der Meditation verschrieben hat, dann will ich sie heiraten.
Brahma nutzte die Gunst der Stunde: ‚Wir haben bereits eine passende Frau für dich gefunden. Es ist Sati, die Tochter meines Sohnes Daksha und seiner Frau Prasuti. Sati meditiert schon seit Jahren auf dich, mit dem Wunsch, deine Frau zu werden.‘
Shiva versprach, Sati zu heiraten.
Daksha allerdings hatte andere Pläne mit seiner Tochter. Shiva, dieser Asket, gekleidet in Tigerfell, mit verfilztem Haar und Schlangen um den Hals, war kein Umgang für seine Tochter. Doch Sati lehnte alle anderen Bewerber ab. Nach tausenden von Jahren Meditation erschien ihr Shiva und gewährte ihr eine Gunst.
‚Ich möchte deine Frau werden.‘
‚So sei es!‘
Überglücklich bat Sati ihren Vater, die Hochzeit vorzubereiten. Nur mit Brahmas Unterstützung war Daksha bereit, Shiva als Schwiegersohn anzunehmen. Die Hochzeit war ein großes Fest, Götter, Göttinnen, Weise … alles was Rang und Namen hatte folgte der Einladung.
Nach der Hochzeit zog Sati mit Shiva zum Berg Kailash, seinem Wohnsitz. Shiva las seiner Frau jeden Wunsch von den Augen ab. Millionen Jahre waren sie ein glückliches Paar. Die Verbindung Satis zu ihrem Vater riss ab. Die Heirat mit Shiva verzieh er ihr nie.
Eines Tages saßen beide auf dem Kailash und sahen unzählige Götter in herrlich geschmückten Wagen vorüberziehen. Sati wunderte sich, wo sie wohl alle hinfuhren. Shiva erzählte ihr von Dakshas Opfer zu Ehren Vishnus. Sati machte sich sofort auf zu ihrem Vater und fragte ihn, warum er Shiva nicht eingeladen habe. Wie immer verhöhnte Daksha Shiva. Sati, voll Kummer, warf sich ins Opferfeuer.
Als Shiva davon erfuhr erschuf er ein zornvolles Wesen aus sich, Virabhadra, und schickte ihn zum Opferplatz, um das Opfer zu zerstören. Virabhadra tat wie ihm geheißen, er zerstörte das Opfer und enthauptete Daksha. Dakshas Frauen baten Virabhadra, ihren Gatten wieder zum Leben zu erwecken. Da der Kopf nicht mehr auffindbar war, nahm Virabhadra den einer Ziege und setzte ihn Daksha auf.
Shiva wandte sich aus Kummer von der Welt ab und vertiefte sich wieder in Meditation. Sati wurde Himavat und Mena als Parvati wiedergeboren.
Der Dämon Taraka hatte unglaubliche Macht erlangt. Weder Menschen noch Götter waren in der Lage, ihn zu besiegen. Er war eine Plage für die drei Welten (Triloka). Die Götter machten sich auf zu Brahma und baten um Rat. Er erklärte ihnen, dass nur ein Sohn Shivas in der Lage sei, Taraka zu vernichten. Doch seit dem Tod Satis war Shiva im Himalaya in Askese versunken, niemand kam an ihn heran. Nochmals suchten sie Brahma auf, der sie hieß, die Göttin anzurufen, von der Sati eine Inkarnation gewesen war. Die Göttin erschien ihnen und versprach, sie werde inkarnieren, Shiva heiraten und ihr Sohn werde Taraka vernichten.
Bald darauf schenkte Mena Himavat eine Tochter, die sie Parvati nannten. Parvati betete schon als Kind zu Shiva. Da sie eine Schönheit war fehlte es nicht an Bewerbern, die sie heiraten wollten. Doch Parvati lehnte alle ab, sie wollte nur Shiva heiraten.
Ihr Vater fragte sie: ‚Parvati, möchtest du nicht heiraten? Warum lehnst du alle Prinzen, die um deine Hand anhalten, ab?‘
‚Vater, sie sind alle nicht das was ich suche.‘
Dann schaltete sich Mena ein: ‚Gibt es denn jemanden, den du heiraten möchtest?‘
Verlegen flüsterte Parvati mit leuchtenden Augen: ‚Shiva.‘
Himavat war zuerst erschrocken, doch dann meinte er: ‚Shiva, der Herr der drei Welten, ja das wäre ein guter Schwiegersohn.‘ Allerdings meldeten sich Zweifel in ihm: ‚Parvati, Shiva ist ein Asket, er hat sich in den Himalaya zurückgezogen. Wie kommst du auf die Idee, dass er dich heiratet.‘
‚Narayana, Narayana‘, eine Stimme erklang hinter ihnen. Als sie sich umdrehten erblickten sie den Weisen Narada, den Sohn Brahmas. Er war gekommen, um Parvati mit Shiva zu verheiraten.
Parvati war die erste, die Narada grüßte. Er segnete sie: ‚Parvati, du wurdest geboren, um die Mutter der Welt zu werden. Es wird Zeit, dass du diese Bestimmung erfüllst.‘
Himavat und Mena begrüßten nun ebenfalls Narada. Himavat erklärte, dass Parvati sich schon für Shiva entschieden hatte.
Narada wandte sich an Parvati: ‚Das wird nicht einfach werden. Gehe mit deinem Vater zu ihm.‘ Dann verabschiedete er sich.
Am nächsten Tag machte sich Himavat mit Parvati auf den Weg zu Shiva, geduldig wartend, bis er seine Augen öffnen würde.
Shiva öffnete nach langer Zeit die Augen. Zuerst fiel sein Blick auf Parvati. Er erkannte nicht, dass sie die Wiedergeburt seiner geliebten Sati war. Er fragte Himavat, was sie beide zu ihm führe.
Himavat verneigte sich: ‚Das ist meine Tochter, Parvati. Von Kindesbeinen an verehrt sie nur dich. Sie möchte dir dienen.‘
Shiva war einverstanden, Himavat ließ Parvati bei Shiva und machte sich auf den Rückweg.
Bald war Parvati für Shiva unentbehrlich. Stets hatte sie alles bereit, wenn er aus seiner Meditation erwachte. Die Götter sahen das mit Erleichterung. Sicher würde Parvati Shiva bald überzeugen, sie zu heiraten. Doch die Tage vergingen, Shiva blieb immun gegen ihren Liebreiz. Die Zeit drängte, so suchten sie wieder Hilfe bei Kama.
Indra erklärte Kama was zu tun war: ‚Parvati braucht deine Hilfe. Shiva lässt sich von ihrer Anmut nicht beeindrucken. Feuere ein paar deiner Pfeile ab, damit er ihn erkennen kann.‘
Kama überdachte den Auftrag: ‚Parvati wird Shiva für sich gewinnen. Die Göttin hat es uns versprochen. Warum sollten wir eingreifen?‘
Indra begründete es damit, dass Taraka vernichtet werden müsse, und zwar schnellstens. Kama ließ sich überreden und erzählte seiner Frau von seinem Auftrag, Rati war nicht begeistert. Shiva in seiner Meditation zu stören war ein gefährliches Unterfangen. Kama war sich dessen ebenfalls bewusst, doch er musste seinen Auftrag erfüllen. Er verabschiedete sich von Rati und versprach, bald zurück zu sein. Er nahm seinen Blütenbogen und die Zuckerrohrpfeile und machte sich auf zu Shiva. Angekommen, schoss er fünf Pfeile auf Shiva.
Shiva fühlte sich, als sei er geweckt worden. Er schaute auf Parvati und erkannte zum ersten Mal wie schön sie war. Doch dann verwarf er die Emotion. Seine Sati war tot, er wollte keine andere Frau. Er vertiefte sich wieder in Meditation und erkannte, dass Kama dahintersteckte. Shivas drittes Auge war aus gutem Grund stets geschlossen. Öffnete er es, würde alles verbrennen. So geschah es an jenem Tag, Kama wurde zu Asche.
Shiva war verärgert, dass er in seiner Konzentration gestört worden war. Er schickte Parvati weg, sie solle wieder nach Hause gehen, da ihre Annährungsversuche bei ihm nicht wirken würden. Parvati war über den harschen Ton betrübt, hatte sie sich doch in all der Zeit immer mehr in Shiva verliebt. Wie konnte sie ihn nur für sich gewinnen?
Da hörte sie hinter sich eine vertraute Stimme … ‚Narayana, Narayana.‘
Sie drehte sich um und sah Narada. Sicher würde er ihr helfen. Narada lächelte: ‚Shiva ist nicht durch Schönheit zu erreichen, sondern durch Hingabe.‘
Parvati hatte verstanden, was sie zu tun hatte. Sie musste sich in Askese begeben. Sie hatte keine Furcht davor, im Gegenteil, sie freute sich darauf. Sie verabschiedete Narada und zog sich in eine Höhle zurück. Sie würde Shiva für sich gewinnen, ohne Zweifel.
Als Rati vom Tod ihres Ehemannes hörte, schüttete sie Parvati ihr Herz aus. Doch sie versprach ihr: ‚Ich werde Shiva für mich gewinnen, dann wird Kama wieder zum Leben erweckt.‘ Mit ein wenig Hoffnung im Herzen verließ Rati Parvati.
Parvati begann ihre Askese. In ihrer Meditation erkannte sie, dass sie in ihrem früheren Leben Sati war und es ihre Bestimmung war, Shiva zu heiraten. Die Askese gab ihr gewaltige Kräfte, sie aß und trank nicht mehr, nichts mehr um sich herum nahm sie wahr. Allerdings war Parvatis Askese so kraftvoll, dass die Götter sie nicht mehr ertragen konnten. Überall wurde es brennend heiß. Sie suchten Brahma auf. Brahma und Vishnu gingen zusammen zu Shiva und erklärten ihm, dass Parvatis Askese das Himmelreich verbrennen würde. Da erkannte Shiva, dass Parvati keine Sterbliche, sondern etwas ganz Besonderes war – seine Sati.
Als Parvati am nächsten Morgen sich wieder in Meditation vertiefen wollte, stand ein junger Asket vor ihr: ‚Ich beobachte dich seit Tagen, du isst nicht, trinkst nicht, deine Askese ist unglaublich kraftvoll. Viele Weise haben dich besucht, du nahmst nichts davon wahr. Warum tut eine schöne Frau wie du, sich das an?
‚Aus Liebe, ich tue es aus Liebe. Ich liebe Shiva und möchte ihn heiraten. Durch Hingabe versuche ich, ihn zu erreichen.‘
Der Asket lachte: ‚Shiva willst du heiraten? Wieso willst du deine Schönheit für solch einen Kerl vergeuden. Er ist mit Asche bestrichen und trägt Totenköpfe um den Hals. Er ist heimatlos, treibt sich auf Verbrennungsfeldern herum. Meinst du diesen Shiva?‘
Parvatis Augen schauten den Asketen zornig an: ‚Ja, diesen Shiva meine ich, den Herrn der drei Welten. Dieser Shiva kann von Einfältigen wie dir nicht erkannt werden.‘
Als er noch einmal zum Sprechen ansetzen wollte schrie sie: ‚Sage kein einziges Wort mehr! Solch einem dummen Geschwätz höre ich nicht zu.‘ Sie wollte weggehen, als sie einen Blitz sah. Vor ihr stand Shiva, schaute sie liebevoll an, ihre Worte im Ohr … diesen Shiva … den Herrn der drei Welten. Sie hatte dies mit solch einem Stolz ausgesprochen. Er hatte erkannt, dass seine Sati wiedergeboren war: ‚Parvati, es tut mir leid. Ich hätte dich früher erkennen müssen.‘
Sie gehörten zusammen, sie waren schon immer zusammen, unter verschiedenen Namen. Shiva war der Vater, Parvati die Mutter des Universums.
Gemeinsam suchten sie Parvatis Eltern auf und Shiva hielt um Parvatis Hand an. Himavat und Mena waren überglücklich und die Hochzeit war ein grandioses Fest.
Als erstes bat Parvati Shiva, Kama wieder lebendig zu machen. Shiva tat dies gern und Rati bekam ihren Ehemann zurück.*
Parvati gebar Karttikeya, der den Dämon Taraka vernichtete.
*Eine andere Version lesen Sie auf meiner Krishna Seite ‚Familie‘ Pradyumna.
Aus dem Englischen mit freundlicher Genehmigung von S. A. Krishnan.