Ashokasundari
Shiva und Parvati hatten den Kailash schon länger nicht mehr verlassen … Parvati verlangte es danach, wieder einmal etwas zu unternehmen. Sie bat Shiva, mit ihr nach Nandankanan zu gehen, hatte sie doch gehört, dass dort ganz besondere Bäume wuchsen, voller Mysterien. Shiva erfüllte ihr den Wunsch gern. Schon am nächsten Tag machten sie sich auf … und wirklich, Parvati konnte nur staunen über diese herrlichen Bäume und Blumen … da fiel ihr ein Baum auf, der anders aussah als die anderen und sie fragte Shiva, was es mit ihm auf sich habe.
‚Das ist kein gewöhnlicher Baum, das ist der Kalpataru.‘
Parvati glaubte nicht was Sie hörte: ‚Der Kalpataru, der Baum, der jeden Wunsch erfüllt? Ist das wirklich der Kalpataru?‘ Sie konnte ihren Blick nicht mehr von dem Baum abwenden.
Shiva lachte: ‚Ja, probiere es aus … wünsche dir etwas.‘ Parvati schaute zu Shiva, schloss ihre Augen und sprach: ‚Ich wünsche mir eine schöne und intelligente Tochter.‘
Als sie ihre Augen wieder öffnete lag ein Mädchen unter dem Baum. Sie hob es auf und nannte es Ashokasundari. Vor ihren Augen wuchs das Mädchen zu einer schönen Frau. Sie verneigte sich vor Parvati und fragte: ‚Mutter, ich bin für dich erschaffen worden, was kann ich für dich tun?‘
‚Erfreue dich am Leben, mein Kind, wenn die Zeit gekommen ist wirst du die Frau von Nahusha werden.‘ Ashokasundari, von Mutter und Vater gesegnet, blieb in Nandankanan. Parvati und Shiva kehrten nach Hause zurück.
Nahe Nandankanan lebte der Dämon Hunda. Als er Ashokasundari sah war er von ihr hingerissen: ‚Schöne Maid, magst du mich heiraten?‘
Ashokasundari wies ihn zurecht: ‚Nein, ich will dich nicht heiraten, meine Mutter hat bereits einen Gemahl für mich ausgewählt.‘
Doch so einfach ließ Hunda sich nicht zurückweisen: ‚Warum auf jemanden warten, den du nicht kennst? Heirate mich, ich verspreche dir ein sorgloses Leben an meiner Seite.‘
Ashokasundari blieb standhaft. Hunda geriet in Zorn, einer der mächtigsten Dämonen ließ sich nicht so einfach abweisen … er griff Ashokasundari am Arm und erklärte ihr: ‚Ich bin Hunda, wenn ich um etwas bitte, lasse ich nicht zu, abgewiesen zu werden!‘
Ashokasundari gab ihm einen Stoß, zog ihr Schwert und sprach mit feurigen Augen: ‚Ich habe dir gesagt, dass ich nicht will, nun lasse mich in Ruhe und verschwinde, bevor mir die Geduld ausgeht!‘
Hunda gewann die Einsicht, dass er so nicht weiterkam. Auch war sie in ihrem eigenen Herrschaftsbereich,er musste sie aus Nandankanan herauslocken, dann vielleicht … Tage später saß eine junge Frau am Eingang von Nandankanan, sie sah entmutigt und traurig aus. Ashokasundari hatte eben ihre Morgengebete beendet, als sie sie erblickte: ‚Warum siehst du so mitgenommen aus? Was ist dir geschehen? Kann ich etwas für dich tun?‘
Die Frau nahm einen tiefen Atemzug, Tränen rannen aus ihren Augen: ‚Ich habe meinen Mann verloren. Ich bin sicher, er ist tot. Ich fühle mich so allein, ich halte es in meinem Haus nicht mehr aus.‘ Ashokasundari nahm sie in den Arm: ‚Ich bleibe ein paar Tage bei dir, das wird dir helfen.‘ Das Gesicht der Frau hellte sich auf.
Ashokasundari wunderte sich, dass das Haus offenbar im tiefen Wald zu liegen schien, sie sagte aber nichts. Als sie es erreicht hatten, war die Frau verschwunden, Ashokasundari ging hinein, es war leer. Sie wollte nach ihr rufen, da griff eine Hand von hinten nach ihr und hielt ihr den Mund zu: ‚Ich habe dich gebeten, mich zu heiraten, erinnerst du dich?‘
Ashokasundari war klar, die Frau war Hunda in Verkleidung, sie gab ihm mit dem Fuß einen Tritt, er taumelte und fiel zu Boden. Ashokasundari verfluchte ihn: ‚Du wirst von dem getötet werden, der mein Ehemann werden wird. Nahusha wird dich töten!‘
Hunda war verwundert über diesen Fluch … überdachte ihn … Ashokasundari sollte also jemanden heiraten, der noch nicht auf Erden geboren war … ich muss Nahusha einfach töten, bevor er erwachsen ist … ganz einfach. Hunda lächelte siegessicher.
* * *
Weit weg, im Königreich Pratishthana, lebte König Ayu mit seiner Königin Indumati. Das Land war wohlhabend, das Volk glücklich, nur hatten die beiden keine Kinder. Sie beteten zu Dattatreya, der ihnen nach langer Zeit den Wunsch erfüllte. Indumati gebar einen Sohn, sie nannten ihn Nahusha. Was das Königspaar nicht wusste war, dass sie von Hunda beobachtet wurden. Als er von der Geburt dessen erfuhr, der ihn töten sollte, zog er in die Wälder von Pratishthana. Ein Jahr war der Prinz nun alt, er lag in seiner Wiege, König und Königin schliefen. Eine Gestalt schlich in den Palast und raubte das Kind. Groß war das Entsetzen, als am nächsten Morgen das Paar die Wiege leer vorfand. Boten wurden ausgesandt, sie durchsuchten den Palast, die Gärten und das Umfeld. Sehnsüchtig warteten die Eltern auf eine Nachricht … da erschien ein Besucher … der Weise Narada stand plötzlich vor ihnen. Indumati wusste, wenn einer helfen konnte, dann er. Sie stürzte auf ihn zu, verneigte sich vor ihm und rief: ‚Mein Sohn … hast du ihn gesehen?‘
Ayu kam herbei und bot dem Weisen eine Erfrischung an.
Narada sprach: ‚Sorgt euch nicht, euer Sohn ist in Sicherheit.‘
Indumati bat inständig: ‚Ich möchte ihn sehen … bitte … wo ist er?‘
Doch Narada schüttelte den Kopf: ‚Nein, meine Königin, noch ist die Zeit nicht gekommen.‘
Indumati schrie: ‚Ich bin seine Mutter!‘
Narada sprach ganz ruhig: ‚Dein Sohn wurde von dem mächtigen Dämon Hunda entführt. Dass er noch lebt ist der Güte des Kochs von Hunda zu verdanken.‘
Dann erzählte Narada dem Königspaar die Geschichte von Ashokasundari und Hunda. Indumati starrte den Weisen an als er endete: ‚… der Koch von Hunda rettete euren Sohn, er brachte ihn in den Ashram des Weisen Vasishtha.‘
Indumati meinte: ‚Dann hole ich ihn bei Vasishtha ab.‘
‚Nein! Damit bringst du ihn in Gefahr. Hunda ist sicher, dass er tot ist. Und so soll es bleiben. Bei Vasishtha ist er in guten Händen. Wenn ihr ihn zurückholt wird Hunda ihn wieder rauben, wie wollt ihr ihn beschützen?‘
Ayu konterte: ‚Ich habe eine Armee!‘
‚Die Armee bewacht den Palast, wo war sie, als Hunda eindrang und Nahusha raubte?‘ Indumati erkannte, dass der Weise recht hatte, aber …
Narada bekräftige noch einmal: ‚Dein Sohn ist sicher bei Vasishtha, noch dazu ist er ein hervorragender Lehrer. Dein Sohn wird zurückkehren, wenn seine Zeit gekommen ist.‘
Ayu und Indumati gaben sich geschlagen, Nahusha wuchs unerkannt bei Vasishtha auf. Pratishthana wartete auf seinen Prinzen.
* * *
Vasishtha schaute verwundert, als er ein Kind vor seinem Ashram schlafen sah, er nahm es auf, schaute sich um, doch kein Mensch war weit und breit zu sehen. Das Kind war eindeutig ein königliches, wer legte ihm einen Prinzen vor die Tür?
Er ging in Meditation, durch seine mystischen Kräfte wurde er gewahr, was geschehen war. Es war also Nahusha. Da erhielt Vasishtha eine weitere Schau. Ashokasundari war vorgesehen, diesen Nahusha zu heiraten. Er hielt also den Prinzen von Pratishthana in den Armen. Er zog Nahusha auf wie seinen eigenen Sohn. Der Junge lernte schnell, er wurde ein hervorragender Jäger. Doch verstand er nicht, warum Vasishtha ihn auch Diplomatie und Staatskunst lehrte.
Nahusha war erwachsen geworden, da kam eines Tages ein Mann in den Ashram, mit dem Vasishtha sich kurz unterheilt und dann Nahusha bat, dazuzukommen. Der Mann sah mitgenommen aus, er hatte Tränen in den Augen: ‚Es ist dieser Hunda, er tyrannisiert uns, er ist ein so mächtiger Dämon, wir können uns nicht gegen ihn behaupten.‘
Vasishtha fragte: ‚Seit wann geht das so?‘
‚Seit er den Prinzen von Pratishthana geraubt hat.‘
Pratishthana … Pratishthana … klang es in Nahushas Ohren …
Verwirrt fragte er: ‚Der Prinz von Pratishthana wurde geraubt?‘
Da schaute ihn der Mann zum ersten Mal an: ‚Ja, König Ayu und Königin Indumati hatten einen Sohn. Hunda raubte ihn, als er ein Jahr alt war. Wir nehmen an, er hat ihn getötet. Doch König und Königin glauben, dass ihr Sohn eines Tages zurückkehren wird. Sie sind sicher, dass er noch am Leben ist.‘
Nahusha hörte noch eine Weile den Erzählungen über die Schandtaten Hundas zu, dann meinte er zornig: ‚Dieser Hunda muss vernichtet werden!‘
Vasishtha verabschiedete den Mann: ‚Sorge dich nicht, euer Problem wird gelöst werden.‘
Der Mann verneigte sich vor dem Weisen und ging. Vasishtha wandte sich an Nahusha: ‚Ich muss dir etwas erklären.‘
Neugierig setzte sich Nahusha zu dem Weisen und kam aus dem Staunen nicht heraus, als er hörte wer er war und was seine Aufgabe sei. Mit dem Segen Vasishthas verließ er den Ashram, um Hunda zu vernichten. Es war ein feuriger Kampf, doch nicht umsonst hatte Nahusha bei Vasishtha gelernt. Hunda wurde besiegt. Die Menschen waren erleichtert.
Nahusha machte sich auf nach Pratishthana. Ayu und Indumati schlossen ihren verlorenen Sohn überglücklich in die Arme. Ein prächtiger junger Mann war er geworden, bereit, den Thron zu besteigen. Überall im Königreich wurde die Rückkehr gefeiert. Kaum waren die Feierlichkeiten zu Ende, gab es das nächste Fest. Nahusha suchte Ashokasundari auf. Sie hatte bereits von seiner Heldentat gehört und wartet auf ihn. Das Königreich von Pratishthana feierte die Hochzeit des Prinzen mit der Tochter Parvatis und Shivas. Als König regierte Nahusha weise und war bei seinem Volk beliebt.
Aus dem Englischen mit freundlicher Genehmigung von S. A. Krishnan.